Der RR Ghost kann auch Schotter

Als Spielplatz der Hollywood-Elite hat Palm Springs eines ausprägte Luxusszene und mit einem Rolls-Royce Ghost fällt man dort nicht sonderlich auf. Doch nur ein paar Meilen weiter beginnt für den adeligen Luxusliner das Abenteuer – beim Glamping im Joshua Tree National Park.

Rolls Royce Ghost – edler Camper auf feiner Tour

Es sind zwar nur gut 100 Meilen – doch heute zieht sich der Weg mal wieder. Denn alle Welt will offenbar raus aus Los Angeles und rein in die Wüste, nach Las Vegas oder wenigstens nach Palm Springs – und wir mittendrin. Nur, dass wir uns nicht in einem schnöden Pick-up oder SUV durch den Stau quälen, sondern standesgemäß in einem Rolls-Royce Ghost. Schließlich hat die Fahrt am Rodeo Drive begonnen, der Shopping Meile der Reichen und Schönen. Und hier in Beverly Hills ist man besser stilsicher unterwegs.

Der Besitzer eines Rolls-Royce ist schließlich Herr seiner Zeit und lässt sich nicht hetzen

Seidiger Zwölfzylinder

Natürlich ist Stau auch dann schlimm, wenn man in Sesseln thront, nach denen sich King Charles III noch sehnen wird, wenn die Füße im knöcheltiefen Flausch der Fußmatten versinken, die Musik glasklar und rein wie Perlen aus Boxen tröpfelt, die Studiobesitzer hier in Hollywood weinen lassen, und einem derweil ein halbes Dutzend pneumatischer Kissen den Rücken knetet. Doch fühlt sich die zähe Zeit dann wenigstens an wie süßer Honig und nicht wie ausgeknatschtes Kaugummi. Und nirgends spielt der seidige Zwölfzylinder eines Rolls-Royce seine Stärken besser aus als im Stop-and-Go-Verkehr: Mit übermäßiger Leistung und schier endlosem Drehmoment schnell fahren, das ist nur was für adrenalinsüchtige Angeber in ihren aufgebrezelten Sportwagen. Wahre Dekadenz dagegen ist es, sich derart zurückhaltend im Kriechgang zu bewegen, dass die Powerreserve-Anzeige nicht einmal kurz von der 100 Prozentmarke weg zuckt. Der Connaisseur hat 571 PS und 850 Nm und nutzt sie einfach nicht.

6.75 Liter Hubraum

Aber spätestens hinter Riverside lichtet sich der Verkehr ja wieder und der 6,75 Liter große Zwölfzylinder kann doch noch ein bisschen Fahrtwind unter die Schwingen der Spirit of Ecstasy fächeln, die sich droben auf dem erleuchteten Grill stolz dem Abendrot entgegen reckt – von 0 auf 100 in 4,8 Sekunden und in Ländern mit lässigeren Ordnungshütern bis zu 250 km/h – können kann der Ghost schon, wenn man ihn nur lässt. Und wenn man sich gemein machen will mit dem Volk auf der linken Spur.

Die Aussicht ist überwältigend

Aber nicht im Mutterland des Tempolimits und erst recht nicht auf einem Highway, auf dem sie selbst vor einem Auto mit einem Listenpreis jenseits von 200.000 Dollar, das mit ein paar Extras aber auch mal 400.000 Dollar kostet, keinen Respekt haben und auf das sie deshalb auch keine Rücksicht nehmen. Außerdem ist der Besitzer eines Rolls-Royce schließlich Herr seiner Zeit und lässt sich nicht hetzen. Also schwebt der Ghost stur mit der Karawane und quält sich durch die Wüste, vorbei am endlosen Spalier der Windkraftanlagen hinein in Coachella Valley nach Palm Springs.

In guter Gesellschaft

Das Ziel dieser Fahrt ist der besseren Gesellschaft wohl bekannt. Denn seit den Kindertagen der Filmindustrie zieht es Stars und Sternchen in die erste halbwegs erträgliche Stadt außerhalb jenes Bannkreises, in dem die Kinohelden früher vertraglich zu sittlich und moralisch einwandfreiem Benehmen verpflichtet waren. Ava Gardner, Frank Sinatra, Gene Autry, Bob Hope, Barry Manilow ja sogar Hardy Krüger – sie alle sind deshalb in steter Regelmäßigkeit in die Wüste geflohen und haben Palm Springs und seine Nachbargemeinden zu einem Refugium des Geldadels gemacht – nicht umsonst haben Luxusmarken wie Bentley oder Ferrari hier größere Autohäuser als BMW oder Fiat in Paderborn oder Pittsburgh.

Der Connaisseur hat 571 PS und 850 Nm und nutzt sie einfach nicht

Allerdings ist Palm Springs für uns diesmal nur das Sprungbrett ins echte Abenteuer. Denn nicht das legendäre Parker-Hotel, hinter dessen ikonischer Fassade aus weißen Betongittersteinen die Hollywood-Elite seit Jahrzehnten diskret aber um so dekadenter feiert, ist diesmal das Ziel, und auch nicht die vielen Gourmet-Tempel, die sich wie Perlen auf einer Kette am Highway 111 aufreihen bis weit hinunter nach Thermal. Die Fahrt führt weiter durch den Joshua Tree National Park, wo selbst die imposanteste Front der automobilen Welt verblasst neben den faszinierenden Formationen aus Stein, Kakteen und Krüppelbäumen, die spätestens seit U2s Hit-Album auf der ganzen Welt bekannt sind. Und wer sagt denn, dass man unbedingt ein SUV braucht, nur um mal die ausgetretenen Pfade das Alltags zu verlassen? Für das bisschen Schotter ist sich auch der Ghost nicht zu schade, und wenn’s richtig kitzlig würde, gäbe es ja auch noch einen Cullinan. Und zur allgrößten Not hätte der Fahrer ja auch noch ein paar Füße, die ihn auf gut markierten Pfaden an die schönsten Ecken des Nationalparks tragen würden.

Der Geist auf dem Zeltplatz

Statt einer klassischen Trekking-Tour wird das aber eine Autowanderung auf dem Park Boulevard, die vorbei führt an markanten Punkten wie dem Skull Rock, dem Cholla Cactus Garden oder dem Keys View und die so endet, wie es sich für eine solche Tour geziemt: auf dem Zeltplatz.

Aber nicht auf irgendeinem. Passend zum Auto ist auch das Zelt ein bisschen größer und natürlich ein bisschen vornehmer: Ein halbes Dutzend mongolischer Jurten haben sie auf der 28 Palms Ranch an der Nordgrenze des Parks verteilt, jede drinnen mit einem riesigen Bett, klimatisiert und romantisch beleuchtet und draußen mit Outdoor-Küche, Nasszelle unter freiem Himmel und einer Lounge-Area, die noch bequemer ist als das Sofa im Fond des Ghost. Und spätestens, wenn hinter den San Bernadino Mountains glutrot die Sonne vom Himmel fällt und sich das Firmament schwärzer einfärbt als irgendwo sonst, weiß man auch, weshalb die Jurte ein Glasdach hat. Und man lernt, wie albern das viele tausend Dollar teure LED-Gefunkel am Dach des Ghost ist: Ja, im Auto mag es keinen schöneren Sternenhimmel geben als den im Rolls-Royce. Erst recht nicht, wenn die Lichtkünstler in Goodwood auch noch individuelle Himmelszenarien ins feine Leder stechen. Doch gemessen an dem, was das Universum da über den Joshua Trees inszeniert, ist das eine laienhafte Stümperei – denn mehr Sterne als hier dieses Hotel können alle Beherbergungsbetriebe in ganz Kalifornien nicht einmal zusammen aufbieten. Da kann man es leicht verschmerzen, wenn der Ruf nach dem Roomservice ungehört verhallt und man sich das Frühstück morgens selbst bei Starbucks holen muss. Erst recht, wenn der Tag mit einer Ausfahrt im Rolls-Royce beginnt.

Walk of fame

Zwei Tage später ist der Ausflug ins Abenteuer vorbei und der Rolls rollt zurück an die Küste – diesmal ganz ohne Stau und entsprechend entspannt: Die Insassen mit leichtem Sonnenbrand und das Auto mit reichlich Staub auf dem Lack und Sand in den Felgen. Sollen sie später auf dem Rodeo Drive doch die Nase rümpfen, wenn der Glanz ausnahmsweise mal nicht perfekt ist und dem Ghost ein Bentley oder gar ein Maybach die Schau stiehlt. Denn erstens ist das nichts, was eine Handwäsche nicht wieder zurechtrücken könnte. Und zweitens hat der Rolls dafür in den letzten zwei Tagen mehr Sterne gesehen, als sie je auf den Walk of Fame pflastern können. Denn gegen den Himmel über dem Joshua Tree verblassen selbst die heißesten Träume von Hollywood.

Benjamin Bessinger/SP-X